Zwei tragische Todesfälle – Gino Mäder (2023) und Muriel Furrer (2024) – erschütterten die Radsportwelt. Die Veranstalter der Tour de Suisse haben am 4. Juni 2025 in Küssnacht SZ umfassende Massnahmen vorgestellt, die auf eine deutlich verbesserte Sicherheitsarchitektur abzielen. Im Zentrum steht ein innovatives GPS-Tracking-System – eine Weltneuheit nach eigenen Worten – sowie eine öffentliche Aufarbeitung, die auch selbstkritische Töne einschliesst.

GPS-Tracking zur schnellen Notfall-Erkennung

Erstmals wird bei der Tour de Suisse (15.–22. Juni 2025) ein satellitengestütztes Live-Tracking-System eingesetzt. Jedes Fahrrad wird mit einem Tracker ausgestattet, der automatisch Alarm schlägt, wenn das Rad länger als 30 Sekunden stillsteht, abrupt abbremst oder die Strecke verlässt. Die gesammelten Signale laufen in einer zentralen Sicherheitszentrale zusammen, die eine sofortige Reaktion ermöglicht. Auch Begleitfahrzeuge sind in das System eingebunden.

Die Teilnahme am System erfolgt nach einer „Opt-out“-Regelung: Teams können sich abmelden, haften dann jedoch für die Sicherheitsfolgen eigenständig.

Die Idee zu einem solchen System wurde bereits vor der Rad-WM 2024 eingebracht – durch Christian Sailer, ETH-Dozent, Geoinformatiker und Co-Präsident des Velo Club Horgen. Er hatte eine vollumfängliche Lösung samt Live-Kartendarstellung zusammen mit Partnern aus Zürich angeboten – kostenlos. Der Vorschlag wurde nicht umgesetzt, was später schwere Folgen hatte.

Olivier Senn, heute Tour-de-Suisse-Renndirektor, sagte später:
„Rückblickend wäre es eine perfekte Lösung gewesen.“
(Watson.ch – Artikel vom 08.11.2024 )

Die versäumte Chance bei der Rad-WM – eine Vorgeschichte

Muriel Furrer verunglückte am 26. September 2024 während der Rad-WM bei Küsnacht und blieb über eineinhalb Stunden unentdeckt. Obwohl sie einen Tracker mitführte, wurde dieser nicht zur Notfallerkennung genutzt. Christian Sailer hatte Monate zuvor angeboten, die Ortung öffentlich und sicherheitswirksam umzusetzen – inklusive 3D-Visualisierung, mobil zugänglich, in Echtzeit. Sailer arbeitete vor seiner aktuellen Tätigkeit an der ETH für die Firma Esri, – die weltweit grösste Softwarefirma für professionelle GIS-Technologien.

With the World Championships coming to Zurich, the city where he lived, he offered local organisers use of Esri technology for free as a showcase.
(New York Times Artikel vom 21.12.2024)

Der Vorschlag versandete im bürokratischen Dreieck von Lokalkomitee, UCI und Fernsehanstalten. Die Begründungen reichten von „fehlender Zeit“ über „zu viele offene Fragen“ bis zu „technischen Protokollen“. Sailer zeigte sich enttäuscht, weil viele Argumente inhaltlich nicht stimmten. Er hat bereits 2014 mit einem ETH-Studenten ein Notfallerkennungssystem für Velorennen entwickelte am Beispiel der Tortour 2013, bei denen keine Begleitfahrzeuge verfügbar sind. Dieses System war in der Lage, den Standort eines gestürzten oder fehlgeleiteten Fahrers präzise zu ermitteln. In Bezug auf den Unfall von Muriel Furrer sagte er:

„Schon mit dem zehn Jahre alten System meines Studenten hätte man Furrer auf zehn Meter genau lokalisieren können.“
(Watson.ch – Artikel vom 08.11.2024 )

Die UCI argumentierte mit angeblichen Signalunterbrüchen und verweigerte den Einsatz zusätzlicher Tracking- oder Funktechnologie – aus Gründen der „Spannung“ im Rennen.

Als Christian Sailer diesen Satz hörte, rang er um Fassung.
(Watson.ch – Artikel vom 08.11.2024 )

Fachleute, darunter Sailer, widersprachen dieser Darstellung unzureichender Technologie entschieden. Besonders in urbanem Raum sei eine durchgehende Ortung problemlos möglich. Diese mehrfach kommunizierte Falschdarstellung liess Sailer nicht mehr ruhig, sondern bewog ihn dazu, mit seiner nervenzerrenden Geschichte überhaupt an die Öffentlichkeit zu gehen.  Denn im Vorfeld der Weltmeisterschaften hatte er den Organisatoren angeboten, genau ein solches GPS-Tracking für die Rennen zu vermitteln. Und erst noch gratis. Dies liest sich alles sehr seriös dokumentiert im Watson-Artikel vom 8.11.2024 nach.

Tracking als Chance für innovative Formate

Doch Sailers Expertise reicht weit über das Jahr der RadWM hinaus: 2012 nahm er an Tour d’Afrique teil – ein Radrennen von Kairo nach Kapstadt. Sailer dokumentierte seinen Rennfortschritt und Social Media Beiträge auf einer digitalen Karte im Internet und gewann das Rennen.  2013 begann die Zusammenarbeit mit Tractalis – dem Technologiepartner fürs Live Rider Tracking für bekannte Ultra- Cycling-Rennen wie Race across America, Ironman oder die Tortour in der Schweiz (siehe Headerbild).

2014 betreute er im Rahmen seiner Dissertation an der ETH Zürich die bereits erwähnte Bachelorarbeit von Adrian Castello zur Identifizierung von Signalunterbrüchen, Betrug (Abkürzungen fahren) und Unfällen.  Sailer selbst entwickelte die Lernplattform OMLETH („Ortsbezogenes Mobiles Lernen an der ETH“) – eine mobile Web-App, die das ortsbezogene Lernen bei Exkursionen mit präzisem GPS-Tracking und GIS-Integration ermöglichte. Die Plattform basiert auf dem Geofencing-Prinzip, bei dem Inhalte erst freigeschaltet werden, wenn Lernende definierte geografische Zonen betreten.

Die Anwendung war 100 % abhängig von zuverlässiger GSM/GPS-Funktionalität – eine direkte technische Parallele zu heutigen Sportrackingsystemen. Sailers heutige Ideen zur Streckenüberwachung im Radsport bauen auf genau diesen Erfahrungen auf.

OMLETH wurde im Rahmen der Innovedum-Förderinitiative der ETH Zürich realisiert, mit dem Ziel, innovative mobile Technologien in der Hochschullehre zu verankern – und wurde zu einem wesentlichen Fundament seiner heutigen gps- und gis-basierten Projekte im Sport.

Sailer bleibt nicht untätig nach der RadWM – neue Lösung in Arbeit

Christian Sailer hat sich nach den tragischen Ereignissen nicht zurückgezogen. Mit grossem persönlichem Engagement entwickelt er gemeinsam mit erfahrenen Partnern eine umfassende Lösung, die noch 2025 in der Schweiz zum Einsatz kommen soll.

Seine Projektpartner von ACTYVO AG (Nachfolgegesellschaft der damaligen Tractalis AG ) verfügen über mehr als zehn Jahre internationale Erfahrung im Bereich Sportracking, insbesondere im Langstrecken- und Ausdauersport. Ergänzt wird das Team durch ausgewiesene Fachleute der Firma Esri Inc., die unter anderem eine Cloudplattform und APIs für 3D-Kartenvisualisierungen entwickeln, wie sie heute bei Kartenportalen von Städten, Bund und Kantone im Einsatz stehen. (zum Beispiel “Strassenlärm 4D” der Stadt Zürich)

Das Ziel von Sailer ist ein browserbasiertes Geovisualisierungs-Dashboard mit geografischen Informationen wie die Fahrt einzelner Riders, Strecken- und Eventobjekte und weitere Kontextdaten intuitiv zu visualisieren. Dabei orientiert sich die Lösung am Prinzip eines „Digital Twin“: einer digitalen Spiegelung des realen Renngeschehens in Echtzeit, die sowohl zur Analyse als auch zur Dokumentation und Kommunikation eingesetzt werden kann.

„Unser Ziel ist ein Digital Twin für Distanzrennen – ein System, das Fahrten live und im Replay sichtbar macht und dabei geografischen Kontext für alle intuitiv erlebbar vermittelt.“
Christian Sailer

Es soll den Veranstaltern, Teams und Vereinen als Management-Tool dienen, aber vor allem auch Nutzerinnen und Nutzern am Streckenrand und hinter dem Bürobildschirm ein immersives Live- und den Ridern Replay-Erlebnis bieten. So können nicht nur absolvierte Fahrten dokumentiert, sondern auch mit dem umfangreichen geografischen Kontext anschaulich rekonstruiert und erlebbar gemacht sowie mit anderen geteilt werden.

Sicherheit als Grundsatzfrage – mit Planung und Ausbildung

Neben Technologie braucht Sicherheit auch Strukturen, Ausbildung und Haltung. Christian Sailer ist es als Co-Präsident des Velo Club Horgen deshalb wichtig, auch auf bewährte Mittel zu setzen: Erste-Hilfe-Training, Notfallsets, klare Kommunikation und Risikokompetenz bei Guides und Trainern wie er im Regionaljournal Zürich Schaffhausen vom 06.06.2025 im Rahmen der TdS-Tracker-Geschichte schilderte.

📻 GPS-Tracker an Rennen kommen bei Zürcher Velovereinen gut an

Fazit: Ein Umdenken hat begonnen

Die Tour de Suisse 2025 markiert den Beginn eines sicherheitspolitischen Kurswechsels im professionellen Radsport. Neue Technologien wie GPS-Tracking und die Einrichtung von Sicherheitszentralen bieten das Potenzial, tragische Verzögerungen bei Rettungseinsätzen – wie im Fall von Muriel Furrer – künftig zu verhindern.
Ebenso entscheidend ist auch der Mut, neue Wege zu gehen, auch ohne Erfolgsgarantie. Wer bereit ist, Lösungen auszuprobieren, wird nicht nur sicherheitstechnische Fortschritte ermöglichen, sondern auch neue Geschäftsmodelle entdecken, die sich bereits im E-Sport oder im radsportnahen Tourismus mit spielerischen Elementen bewährt haben und damit auch neue Wertschöpfungsketten eröffnen.

Referenzen

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